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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


Ralf Turtschi Die Fotografiekommt mit Ausnahmen heute prak­tisch um das RAW-Format nicht herum. RAW überträgt die Rohdaten «direkt» so, wie sie auf dem Sensor aufgezeichnet werden. Im Gegensatz ist das verbreitete JPG (auch JPEG) mit Komprimierung und gewissen Bildverlusten behaftet. Diese sind bei weitem nicht so schlimm, wie sie dargestellt werden, und man kann guten Gewissens auch mit JPG leben. Ich stelle fest, dass bei einem 36-Megapixel-Bild einer hochauflösenden Kamera 97,2% aller Pixel weggerechnet werden, wenn sie auf einem Tablet mit Retina-Display dargestellt werden sollen. Selbst auf einem iMac 27" geht rund ein Drittel aller Pixel verloren. Spätestens bei einer Veröffentlichung im Internet ist Schluss mit der Pixelmenge. Auch bezüglich Bit-Tiefe sollte man sich bewusst sein, dass die üblichen Wiedergabemedien wie Internet oder Print nicht 14-Bit (214) unterstützen, selbst 12-Bit ist nicht angesagt. Im Print sind aus dieser Sicht selbst magere 28 Bit (=16,8 Mio. Farben) völlig überdimensioniert, der Druck lässt weit weniger als 1 Mio. Farbnuancen zu. Zudem ist es ein weitverbreiteter Irrtum, dass RAW-Daten roh aus der Kamera kommen. Nein, sie werden nach häufig nicht offengelegten Kriterien kameraintern verarbeitet, um Pixelfehler zu korrigieren, das Rauschen zu unterdrücken oder Objektivkorrekturen anzubringen. RAW ist also nicht ganz roh.

Auf den Punkt gebracht: Wir haben einen üppigen Output an Daten aus der Kamera. Wegen des «Transportes» werden Bilddaten auf eine bequeme Grösse heruntergerechnet.

Die Frage für Medienschaffende stellt sich schon, ob der Weg über RAW oder über JPG der bessere sei. RAW-Daten, auch als ACR, Adobe Camera Raw, bezeichnet, müssen nämlich zwingend wie in einem Entwicklungslabor nachbearbeitet werden. Dazu bietet Photoshop und andere Werkzeuge Bordmittel an, die intuitiv und einfach zu bedienen sind. Die ACR-Entwicklung bieten auch andere Softwares wie Photoshop Elements an. Für engagierte Fotografen ist Adobe Lightroom nicht nur ein Werkzeug für die Postverarbeitung ihrer Fotos, sondern auch für die Verwaltung des Bildarchivs. RAW-Daten erhalten durch die verschiedenen Kamerahersteller jeweils andere Suffixe. Bei Nikon heissen sie .NEF, (Nikon Electronic Format) bei Canon .CRW oder CR2. Adobe versucht, einen Standard mit dem Suffix .DNG (Digital Negative) durchzusetzen. Für Anwender spielt die Vielfalt keine Rolle, da Camera-RAW-Converter alle Daten interpretieren und zur Verfügung stellen können, auch bei Lightroom ist das so.

Wie ich dargelegt habe, beginnt der Reproduktionsprozess nicht in Photoshop, sondern bereits in der Kamera und spätestens in Lightroom. Weshalb sollten Kameradaten in RAW erstellt und in Lightroom entwickelt werden und nicht in Photoshop direkt? Lightroom ist das intuitivere Tool, es korrigiert Bilddaten nach dem menschlichen Auge und weniger nach der Reproduktionstechnik. Spitzpunkt Licht und Tiefe haben da weniger verloren, statt additiv wird nach menschlichem Sehen gearbeitet. Nach meiner Erfahrung sind es ein paar wenige Schieberegler, mit denen ein Bild optimiert oder auch massiv verfremdet werden kann. Es geht hier nicht um die üblichen Photoshop-Anpassungsprozesse für den Druck: 2% weniger Magenta, 5% weniger Gelb. Es geht immer um den Bildeindruck an sich. Milchige Aufnahmen wie aus Flugzeugfenstern können Klarheit gewinnen, Farben in allen Richtungen ausgesteuert werden, selbstverständlich kann geschärft oder Bildrauschen minimiert werden. Man weiss nicht so richtig, wie genau all die Schieberegler auf einer Skala funktionieren, Hauptsache, sie tun es. Wer weiss schon auswendig, wie unscharf maskieren funktioniert und welche Einstellungen man dort vornehmen kann. In Lightroom heis­sen die dafür wirksamen Schieberegler Klarheit, Dunst entfernen, oder Kanten schärfen, viel besser als der unverständliche Fachbegriff unscharf maskieren. Meinen persönlichen Workflow habe ich umgestellt, seit ich mit RAW arbeite. Ich bin vom Entwicklungslabor und den ungeheuren Möglichkeiten, die sich mit Lightroom erschliessen, begeistert. Photoshops Stärken liegen woanders. Ich arbeite also mit beiden Tools und nütze ihre spezifischen Vorteile.

Bilder verwalten

Lightroom arbeitet nicht destruktiv. Bilder werden in normalen Ordnern an einem beliebigen Ort (intern oder extern) gespeichert, die Korrekturen als «Eingriffsebene» darübergelegt, so dass alle Originaldaten immer erhalten bleiben. Beide Informationen werden als «Katalog» gesichert und über das Modul Bibliothek verwaltet. Hier werden Metadaten wie Aufnahmeparameter, Filename, Geodaten oder Urheberrechtshinweise angezeigt.

Jedes Bild kann mit einem Schlagwort versehen werden, um es unter allen Bildern schneller zu finden. Ein Shooting mit Blumenbildern: Alle Bilder werden mit «Blume» katalogisiert, zusätzlich werden Fotos mit «Tulpe» oder «Osterglocke» differenziert. Eine Bewertung von bis zu fünf Sternen hilft, Spreu vom Weizen zu trennen. Beim Suchen von Bildern kann nun nach verschiedenen Kriterien wie Jahr, Ordnername, Schlagwort oder Bewertung gesucht werden. Diese Plankenordnung nimmt man am besten während der Entwicklung vor, nachträglich Tausende von Pics zu kategorisieren, ist einfach zu mühsam.

Bilder entwickeln

Das eigentliche Fotolabor liegt im Modul Entwicklung. Rechts sind Schieberegler angeordnet, mit denen Bilder nach Wunsch optimiert werden können. Für Anfänger liegt wohl die Versuchung darin, diese Regler über Mass zu gebrauchen, und damit unnatürliche Bilder zu erzeugen. Es sind vor allem die Regler gemeint, die mit der Farbe zu tun haben, es sind nicht wenige. Die Helligkeit zu regeln, ist nicht so gefährlich, auch beim Schärfen lauern weniger Hindernisse.

Farbe hängt von der natürlichen Sehweise ab. Licht erzeugt grundsätzlich eine Stimmung, die keineswegs immer neutralgrau ist. Ich halte es für widernatürlich, stets einen Weissabgleich vorzunehmen. Der sorgt in vielen Situationen für falsches Licht. Abends und morgens ist ein Weissabgleich verkehrt, dann geht die ganze Stimmung flöten. Oder in einem dichten Laubwald herrscht nun mal grünliches Licht.

Farbkorrekturen können im ganzen Bild oder partiell angewendet werden. Dann ist es möglich, einzelne Farben in Helligkeit, Sättigung oder Kontrast zu steuern. Der Schieberegler für den blauen Farbbereich erzeugt einen tiefblauen Himmel, die grüne Wiese bleibt verschont.

Einer meiner Lieblingsregler ist Dunst entfernen, damit wird das Bild klarer. Was technisch passiert, lässt sich nicht genau sagen, egal. In der Natur werden dunstige, weit entfernte Motive plötzlich mit weniger Blauanteil dargestellt und erscheinen klarer. Wolken erhalten mehr Zeichnung. Der Regler Licht gehört nach links gezogen. Dadurch werden vorher ausgefressene Lichter hervorgezaubert, der weisse Schein um die Sonne wird kleiner und klarer, Strahlen deutlicher dargestellt. Der Regler Tiefe hellt zu dunkel dargestellte Bereiche auf und zwar heftig. So können nachtschwarze Bilder, in denen rein gar nichts zu sehen ist, fast zu «Tagesaufnahmen» getunt werden. Wer diese Korrekturen schon in Lightroom erlebt hat, wird sie wahrscheinlich nie wieder in Photoshop erledigen.

Für das Schärfen gibts zwei Möglichkeiten. Ich regle das mit Klarheit, daneben kann man wie in Photoshop die Unscharfmaskierung anwenden. Die Schärfung findet wie alles andere in einer «Korrekturebene» statt, die für die Volldatei gilt. Nicht berücksichtigt ist, dass die Schärfung eigentlich erst nach der Bestimmung der Abmessung und Auflösung erfolgen sollte. Wer ein Bild im Vollformat schärft und es nachträglich aufs Internet herunterrechnet, verliert die Kantenschärfe. An einem Bild vorgenommene Korrekturen können mit dem Synchronisationsbutton ganz oder teilweise auf andere Bilder übertragen werden, eine feine Sache.

Lightroom verfügt ausserdem über Veröffentlichungsfunktionen, so zum Beispiel sind die direkte Fotobucherzeugung, das Präsentationstool Diashow oder ein Tool eingebaut, womit sich Webgalerien bestücken lassen.

Photoshop ist Lightrooms Fast-Zwillingsbruder

Die Datenübergabe von Lightroom nach Photshop erfolgt über die Bridge, per Drag & Drop, mit Öffnen oder als Smartobjekt. Wenn man so nachträglich Lightroomkorrekturen anbringt, werden sie in Photoshop automatisch nachgeführt. Was Lightroom nicht beherrscht: komplexe Masken, Ebenen, Auswahlen, Pfade und Text. Alles, was irgendwie nach Freisteller und Collage mit Transparenz riecht, kann Lightroom nicht leisten. Lightroom und Photoshop entfalten erst zusammen ihre Power. Der Medienproduktioner wird weiterhin gezwungenermassen mit gelieferten Daten (PSD oder JPG) arbeiten, er hat eine ganz andere Aufgabe, nämlich einzelne ausgewählte Bilddaten für die Ausgabe zu optimieren. Entweder für den Druck und das Papier anzupassen oder für das Internet bezüglich Datei­grösse zu optimieren.

Der Fotograf braucht in erster LinieLightroom, um die grossen Korrekturen medienneutral einzubringen und die Bilder zu verwalten. Es ist absolut verständlich, wenn Fotografen «mit Profil» heute nicht wollen, dass jemand an ihren Daten herumfummelt. Hier orte ich eine wichtige Kommunikationsschnittstelle, denn Fotografen wissen kaum über die Probleme der Datenausgabe, die mit Farbraumtransformation und Datenreduktion zu tun haben. Ohne dieses Verständnis ist meistens eine gewisse Enttäuschung über die relativ stumpfe Print-Bildqualität ab­sehbar.

Der Autor

Ralf Turtschi ist gelernter Schriftsetzer, Buchautor und Publizist. Er ist Inhaber von Agenturtschi und als engagierter Fotograf unterwegs. Der Autor schreibt im Pub­lisher seit Jahren praxisbezogene Beiträge zu Themen rund um Typografie und Gestaltung. turtschi@agenturtschi.ch